Unterstützung bröckelt: Großer Durchbruch? Ukraine-Analyse von Paul Ronzheimer

Unter Druck: Die ukrainische Gegenoffensive kommt nicht voran wie erhofft

Unter Druck: Die ukrainische Gegenoffensive kommt nicht so voran, wie erhofft

Foto: Mstyslav Chernov/dpa
Von: Paul Ronzheimer

Als wir am Sonntag mal wieder die Grenze zur Ukraine überquert haben, jetzt in den 20. Monat des russischen Angriffskrieges kommen, habe ich mir mehrere Fragen gestellt:

► Gibt es eine „Kriegsmüdigkeit“?

► Wie lange wird dieser Krieg noch dauern?

► Und was passiert momentan im Westen wirklich?

Tatsächlich ist die vorhandene oder weiter zu erwartende „Kriegsmüdigkeit“, ein drohendes Desinteresse also an der Entwicklung in der Ukraine, aus meiner Sicht eine der größten Gefahren. Diese ist nicht wegzudiskutieren. Und dabei ist vollkommen klar: Die Lage für die Ukraine ist derzeit nicht weniger bedrohlich, sondern noch bedrohlicher geworden!

Keine Alternative zur Offensive

▶︎ Die Gegenoffensive läuft weniger erfolgreich, als es sich die Ukrainer (und der Westen) gewünscht haben. Es gibt kleine Teilerfolge, aber vom Durchbruch bis zum Schwarzen Meer ist momentan nichts zu sehen, die Gegenwehr der Russen bleibt erheblich.

Dazu kommt: Die Opferzahlen sind extrem hoch, auch aufseiten der Ukraine, was bedeutet, dass das Land dringend weitere gut ausgebildete Soldaten braucht. Die Gegenoffensive wird auch in der Gesellschaft kritisch diskutiert, aber Umfragen zeigen, dass die große Mehrheit (bis zu 90 Prozent) keine Alternative zur Offensive sieht.

▶︎ Die Waffen-Unterstützung aus dem Westen passiert nicht in dem Umfang, den die Ukraine für weitere große Erfolge und zur Gegenwehr braucht. Ein Beispiel: Die erhofften Taurus-Marschflugkörper kommen weiterhin nicht und werden wohl auch nicht schnell kommen. Auch weitere Panzer und Artillerie würden dringend benötigt, sind nur in zu geringer Anzahl vorhanden.

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Dazu kommt, dass Russland die Kriegsproduktion massiv ausgebaut hat, pro Tag trotz Sanktionen mehr produzieren kann als der Westen. Bedeutet: Russlands Präsident Wladimir Putin spielt massiv auf Zeit und hofft, dass die politische Unterstützung der Ukraine weiter abnimmt. Auch die offiziellen Aussagen von Putin und seinen Getreuen zeigen, dass sie nicht von ihrem Ziel abrücken.

Und ihr Ziel lautet: die Zerstörung der Ukraine, die Auslöschung der ukrainischen Kultur, den Sturz der Regierung.

Die großen Gefahren für die Ukraine

▶︎ Die Unterstützung bröckelt! Zwar versammelten sich am Montag alle EU-Außenminister in Kiew, aber es fehlten u. a. der polnische Außenminister und der ungarische Minister. Mit Polen gibt es Streit um Getreide und Waffenlieferungen, mit Ungarn gibt es Streit schon seit Beginn des Krieges, weil Ministerpräsident Viktor Orban nicht an einen ukrainischen Erfolg glaubt. Dazu kommen die Wahlen in der Slowakei, die mit Robert Fico einen pro-russischen Sieger haben, der alle Hilfen einstellen könnte.

Auch in den USA droht ein Kurswechsel: Republikaner machen bereits jetzt Druck, dass Hilfen eingestellt werden. Sollte Donald Trump die Präsidentschaftswahlen gewinnen, ist nichts mehr kalkulierbar für die Ukraine.

▶︎ Die Stimmung innerhalb der ukrainischen Regierung ist wechselhaft. Wenn man mit führenden Vertretern spricht, dann erlebt man einerseits Dankbarkeit für die westliche Hilfe, aber andererseits Verzweiflung über das Tempo und die fehlenden weiteren Waffen.

Ein ukrainisches Regierungsmitglied sagte zu BILD: „Auch wenn der Druck aus Brüssel weiter zunimmt, werden wir nicht verhandeln. Es gibt dafür keine Möglichkeit!“

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg im Gespräch mit BILD-Vize Paul Ronzheimer

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg im Gespräch mit BILD-Vize Paul Ronzheimer

Foto: Moutafis Giorgos

Diese klaren Ansagen sind insbesondere an diejenigen gerichtet innerhalb der EU, die hoffen, dass es zu Verhandlungen kommen könnte. Wie Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg, der zu BILD sagte: „Natürlich hoffen wir, dass es sehr bald – aus meiner Warte eher früher denn später – wieder in die Verhandlungslogik kommt.“ Denn: „Frieden wird immer am Verhandlungstisch gemacht, nie am Schlachtfeld.“

„Wir brauchen weitere Erfolge“

Auch deshalb ist der ukrainischen Regierung klar, dass sie weitere militärische Erfolge braucht. So wird auf verschiedene Geländegewinne verwiesen, auf die wichtigen Angriffe auf russische Munitionsdepots und Kommandostände. Aber klar ist für die Ukrainer auch, dass sie weitaus größere Gewinne im Süden machen und Städte einnehmen müssen, damit die Skeptiker nicht überhand gewinnen.

„Wir brauchen bis Ende des Jahres weitere Erfolge, damit wir zeigen, dass wir diesen Krieg gewinnen“, sagte ein ukrainischer Diplomat zu BILD.

Aber auch die Unterstützer der Ukraine stehen in der Pflicht. Wenn die Bundesregierung laut Außenministerin Annalena Baerbock eine EU von „Lissabon bis Luhansk“ will, dann hat sie die Verpflichtung, der Ukraine auch die Waffen zu liefern, die die Armee für die Befreiung von Luhansk und anderen besetzten Gebieten braucht. Ansonsten sind es leere Polit-Phrasen.

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