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Ukraine-Krieg | Russland in der Krise: Das ist der wahre Grund für Putins Angriff


Russland in der Krise
Das ist der wahre Grund für Putins Krieg

Von Patrick Diekmann

Aktualisiert am 26.04.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin: Der russische Präsident ringt mit einer schrumpfenden Bevölkerung.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Der russische Präsident ringt mit einer schrumpfenden Bevölkerung. (Quelle: IMAGO/Sergey Karpuhin/imago images)

Wladimir Putin gibt Provokationen der Nato die Schuld für seinen Angriff auf die Ukraine. Tatsächlich verfolgt der russische Präsident aber ein anderes Kriegsziel.

Er hofft vor allem, dass der Ukraine und dem Westen schneller die Luft ausgeht als Russland. Aber für Kreml-Chef Wladimir Putin läuft sein Angriffskrieg weiterhin nicht nach Plan. Die Offensive der russischen Armee zum Jahreswechsel ist verpufft, in über einem halben Jahr mit schweren Verlusten ist es Russland nicht gelungen, Bachmut komplett zu erobern. Militärische Erfolge gibt es kaum, im Gegenteil: Moskau muss nun eine ukrainische Gegenoffensive mit westlichen Kampf- und Schützenpanzern fürchten.

Video | Drohnenaufnahmen sollen riskantes Manöver im besetzten Gebiet zeigen
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Quelle: t-online

Ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht und das bringt Putin international in Erklärungsnot. Auch deswegen rechtfertigte der russische Außenminister Sergej Lawrow am Montag im UN-Sicherheitsrat den Angriff auf die Ukraine mit dem bekannten Kreml-Narrativ: Der Westen hätte durch Provokationen und seine "hegemonialen Pläne" die russische Invasion provoziert.

Dabei liegen die Gründe für den Angriffskrieg woanders. Es ist wahrscheinlicher, dass Putin mit einem schnellen Feldzug gerechnet hat, mit dem er Russland um über 40 Millionen Ukrainer zu erweitern hoffte. Denn die russische Bevölkerung schrumpft, was auch mit dem politischen Versagen des russischen Präsidenten in über 23 Jahren an der Macht zu tun hat.

Putin will Russland erneut zu einer Supermacht machen. Doch stattdessen hat er den Niedergang seines Landes beschleunigt. Das könnte am Ende sein Vermächtnis sein.

Die Nato ist nicht das Problem

Der russische Präsident hat zwar in den vergangenen Jahren oft kritisiert, dass sich die Nato entgegen einiger Zusagen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs weiter in Richtung Osten erweitert hat. Aber die Nato-Osterweiterung war im Jahr 2004 und einen völkerrechtlich bindenden Status hatten diese Zusagen nicht. Knapp 18 Jahre danach soll das nun ein Kriegsgrund für den Kreml sein? Zumal die Nato einen Beitritt der Ukraine stets mit dem Hinweis darauf ablehnte, dass das westliche Militärbündnis keine Staaten mit ungelösten Territorialkonflikten aufnimmt. Schließlich hat Russland bereits 2014 mit der Krim Teile der Ukraine besetzt. Das bestätigt zudem, dass Putin seit Längerem versucht, Russlands geostrategischen Einfluss auf ehemalige Sowjetrepubliken auszuweiten – besonders wenn diese nicht in der Nato oder in der EU sind.

Erst seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim durch Russland 2014 fing die Ukraine an aufzurüsten. Und erst danach begannen auch die USA, die ukrainische Armee und Spezialeinheiten nach Nato-Standards auszubilden.

Putin sucht Ausweg aus der Demografie-Falle

Die Wahrheit über Putins Kriegsgründe liegen deshalb wahrscheinlich nicht in einer mutmaßlichen Bedrohung durch die Nato. Das westliche Militärbündnis war spätestens seit der Amtszeit von Donald Trump in einer Sinnkrise. Der damalige US-Präsident drohte offen mit einem Austritt der USA, der französische Präsident Emmanuel Macron hatte sie zuvor schon als "hirntot" erklärt.

Vielmehr verrät Putins Rede vom 22. Februar 2022, in der er die sogenannte "Spezialoperation" verkündete, seine wahren Gründe. Darin schilderte er seine Interpretation der jüngeren Geschichte: Die Ukraine habe als Staat keine Existenzberechtigung. Es gebe eigentlich keine Ukraine, sondern es handele sich um russischen Boden.

Putin deutete damit die Geschichte um. Zugleich demonstrierte er eine imperialistische Ideologie. Er machte klar, dass er die nach 1990 ausgehandelten Verträge, die den ehemaligen Sowjet-Republiken Souveränität garantieren, missachtet. Auch das zeigt, dass es dem Kreml-Chef vor allem um eines geht: "Großrussland". Dafür macht Putin auch nicht vor EU-Staaten aus dem Baltikum halt, wie die "Süddeutsche Zeitung" mit Verweis auf interne Kreml-Papiere dokumentierte.

Die russische Bevölkerung schrumpft

Viele Jahre hatte der russische Präsident in seinen jährlichen Pressekonferenzen immer wieder über die demografischen Probleme seines Landes gesprochen. Die russische Bevölkerung schrumpft, während die Bevölkerungen in China, Indien oder Indonesien auf dem asiatischen Kontinent explodieren. Das hat für Russland wirtschaftliche und geopolitische Folgen und zerstört mittelfristig die Großmachtfantasien des Kreml-Chefs.

Laut UN-Prognosen aus dem Jahr 2021 könnte die russische Bevölkerung bis zum Jahr 2050 von aktuell 143 Millionen auf 133 Millionen geschrumpft sein. In der Hochrechnung ist die russische Invasion in der Ukraine nicht mit eingerechnet. In Kriegen sterben nicht nur viele junge Menschen, sondern allgemein werden in Krisenzeiten deutlich weniger Kinder geboren.

Die durchschnittliche Lebenserwartung der Russen war schon vor dem Krieg auf 71 Jahre gesunken, die der Männer auf nur 66 Jahre. "Das ist niedriger als in Nordkorea, Syrien und Bangladesch", sagte der Historiker Max Boot der "Washington Post". Die Geburtenrate lag zuletzt nur bei 1,5 Kindern pro Frau.

2020 schätzte die russische Statistikbehörde Rosstat, dass das Land schon ein Jahr später 290.000 Einwohner verlieren könnte, 238.000 im Jahr darauf, 189.000 dann 2023 und noch mal 165.000 im Jahr 2024. In nur vier Jahren wären das knapp 900.000 Menschen. Corona und Putins Krieg haben das demografische Dilemma mit seiner Invasion noch verschärft. Es ist die Selbstzerstörung Russlands, Putin sitzt in der Falle.

Hohe Sterblichkeit und hohe Armut in Russland

Aber wie kam es zum schrumpfenden russischen Reich? Neben einer geringeren Geburtenrate ist auch die Mortalität in Russland hoch. Eine Ursache dafür liegt im exzessiven Alkoholkonsum, der das Sterben durch Leberschäden und Kreislaufkrankheiten, Vergiftungen und Unfälle in die Höhe treibt. Es war kein Zufall, dass der frühere Präsident Michail Gorbatschow in der Sowjetunion versuchte, den Sozialismus durch ein Verbot der Spirituosen zu retten. Ohne Erfolg.

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Ein anderer Indikator ist wahrscheinlich die Armut in Russland. Viele Menschen können sich eine Gesundheitsversorgung und Kinder nicht leisten. "Die Gesundheitsausgaben in Russland werden schon lange nicht den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht", kritisierte Anatoli Wischnewski, Bevölkerungsexperte der Higher School of Economics in Moskau, der "Welt" im Jahr 2017. Es gibt zu wenig staatliche Investitionen und vor allem auf dem Land große strukturelle Probleme.

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Dabei ist Putin seit 1999 an der Macht und unter seiner Führung ist es nicht gelungen, Wohlstand zu verteilen. 13,5 Prozent der russischen Bevölkerung lebten 2019 unter dem Existenzminimum, die Wohlstandsverteilung hat sich in den vergangenen 16 Jahren kaum verändert. Dabei verfügt Russland über immense Rohstoffquellen, verkaufte Erdöl und Gas weite Teile der Welt.

Es geht um die "Ressource Mensch"

Aber von den Rohstofferlösen bereicherten sich politische Eliten und Oligarchen, in das Wachstum der russischen Wirtschaft wurde verhältnismäßig wenig investiert. Deswegen hat Russland laut den Daten des Internationalen Währungsfonds (IWF) aus dem Oktober 2022 ein geringeres Bruttoinlandsprodukt als Italien, Kanada oder Südkorea. Das dokumentiert das Scheitern Putins in seiner langjährigen Amtszeit.

Der russische Präsident versuchte, das Demografieproblem zu bekämpfen. Ab 2018 bekommen Familien bereits für das Erstgeborene bis zum 18. Lebensmonat monatlich umgerechnet 150 Euro Kindergeld – gerade auf dem Land ist das viel Geld. Aber auch das hatte bisher keinen Erfolg.

Auch deshalb zielt er nun auf die Ukraine und auf die "Ressource Mensch". Russland entführt Ukrainerinnen und Ukrainer und vor allem auch Kinder. Für den Kreml-Chef ist das die Beute in diesem Krieg, denn Putin ärgert es, dass viele ethnische Russinnen und Russen in fremden Ländern leben. Schon Belarus hat er politisch unter seine Kontrolle gebracht. Aber in der Ukraine hat er es offenbar unterschätzt, dass eine deutliche Mehrheit in der ukrainischen Bevölkerung ihre staatliche Souveränität verteidigen möchte.

Ein teurer Trugschluss. Denn es sterben nicht nur viele russische Soldaten, sondern viele Menschen sind auch aus Russland geflohen. "Wie andere weiße Nationalisten auch ist Putin von Demografie besessen und von der Angst getrieben, dass seine Ethnie zahlenmäßig in die Minderheit geraten könnte", schrieb der US-Historiker Timothy Snyder von der Yale University in einer Analyse. Der russische Imperialismus befeuert im Moment aber genau diese Entwicklung.

Verwendete Quellen
  • nzz.ch: Der Krieg gegen die Ukraine besiegelt Russlands Selbstverstümmelung
  • spiegel.de: Putin und das Peak-Power-Syndrom
  • latimes.com: The CIA has backed Ukrainian insurgents before. Let’s learn from those mistakes (engl.)
  • tagesspiegel.de: Was mit einem Land passiert, wenn es plötzlich an Männern mangelt
  • focus.de: Russland schrumpft - dadurch wird Putin noch gefährlicher
  • watson.ch: Die Russen sterben aus
  • merkur.de: Warum Russland der Verlierer des Ukraine-Kriegs sein wird
  • welt.de: Putin in der Demografie-Falle
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