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Krawalle in Sachsen Wer steckt hinter "Pro Chemnitz"?

Bei Kommunalwahlen hat "Pro Chemnitz" nie mehr als sechs Prozent der Stimmen erhalten, nun bringt die Wählervereinigung Tausende auf die Straßen. An der Spitze steht ein Anwalt, der die rechtsextreme "Gruppe Freital" verteidigte.
Demonstration von "Pro Chemnitz"

Demonstration von "Pro Chemnitz"

Foto: ODD ANDERSEN/ AFP

"Nicht Politiker, sondern die Chemnitzer wissen am besten, wie sie ihr Leben und ihre Stadt gestalten wollen." Das schreibt die Gruppe und Wählervereinigung "Pro Chemnitz" in ihrem Programm. Wie das aussehen könnte, war zu Wochenbeginn zu sehen.

Etwa 6000 Menschen zogen durch die drittgrößte Stadt Sachsens, riefen ausländerfeindliche Parolen, einige zeigten unverhohlen den Hitlergruß, drangsalierten Journalisten und gingen vereinzelt auf Gegendemonstranten los.

Es war eine Machtdemonstration der selbsternannten Bürgerbewegung "Pro Chemnitz", die zu der Demonstration aufgerufen hatte und das unbedingt vorher klarstellen wollte. "Da es mehrfach Anfragen und Unklarheiten gab: Veranstalter ist ausschließlich PRO CHEMNITZ. Alle anderen Gruppen oder Parteien sind selbstverständlich zur Teilnahme eingeladen", schrieb die Wählervereinigung auf ihrer Facebookseite.

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Krawalle in Chemnitz: Feuer und Fahnen

Foto: FILIP SINGER/EPA-EFE/REX/Shutterstock

Nie zuvor war es der kleinen Gruppe gelungen, so viele Menschen in Chemnitz zu mobilisieren. Am Mittwoch wurde zudem bekannt, dass die Organisation im Internet den mutmaßlichen Haftbefehl für einen irakischen Tatverdächtigen gepostet hat, der Daniel H. erstochen haben soll. Aber was will "Pro Chemnitz" - und wer steckt dahinter?

Vereinnahmung der DDR-Bürgerrechtler

Schlüsselfigur von "Pro Chemnitz" ist Martin Kohlmann, 41. Der Jurist ist seit fast 20 Jahren als Rechtsaußen-Aktivist und Politiker aktiv. Bereits 1999 wurde er erstmals in den Stadtrat gewählt - damals noch für die Republikaner. 2004 wählte ihn die rechtsradikale Partei zu ihrem Landeschef in Sachsen.

2006 wollte Kohlmann für die Deutsche Soziale Union (DSU) bei der Oberbürgermeisterwahl in Chemnitz antreten. Weil er jedoch nicht Mitglied der Partei war, hätte er Unterschriften von Unterstützern gebraucht, die er nicht vorweisen konnte. Er focht die Wahl juristisch an, was letztlich zur Folge hatte, dass die bis heute amtierende SPD-Bürgermeisterin Barbara Ludwig ihr Amt erst 2007 mit einem Jahr Verzögerung antreten konnte.

2009 gründete Kohlmann, er ist Fachanwalt für Strafrecht, zusammen mit dem früheren CDU-Mitglied Reinhold Breede die "Bürgerbewegung Pro Chemnitz". Heute hat sie etwas mehr als 30 Mitglieder. Kohlmann sieht sich selbst und seine Gruppe offenbar in der Tradition der DDR-Bürgerrechtler. Auf seiner Homepage prangt oben ein Zitat von Bärbel Bohley: "Wir wollten Gerechtigkeit und bekamen den Rechtsstaat." Auch in ihren aktuellen Facebookeinträgen nimmt "Pro Chemnitz" immer wieder auf die Demonstrationen gegen das SED-Regime im Herbst 1989 Bezug. Ziel sei heute wie damals der Sturz des Systems.

Im Stadtparlament ist Kohlmann als Querulant verschrien. So beschimpfte er einmal den Linken-Fraktionschef Hubert Gintschel als Nazi. Als er daraufhin von Oberbürgermeisterin Ludwig des Saales verwiesen wurde, weigerte er sich zu gehen und ließ sich von Polizisten aus dem Saal tragen. Das Amtsgericht Chemnitz verurteilte ihn später zu einer Geldstrafe in Höhe von 2275 Euro.

2013 kandidierte Kohlmann erneut für das Amt des Oberbürgermeisters. Nur 5,6 Prozent der Wähler stimmten für ihn. Bei der Kommunalwahl 2014 holte "Pro Chemnitz" erneut drei Mandate im Stadtrat.

Facebook-Posts mit Deutsch-Schwäche

"Pro Chemnitz" taucht im sächsischen Verfassungsschutzbericht 2017 nicht auf. Die Gruppe präsentiert sich im Internet als liberal-konservative Law-and-Order-Partei.

So prangert "Pro Chemnitz" auf der Homepage zu hohe Steuersätze an und mahnt mehr Sicherheit auf den Straßen der Stadt an. Dabei will man offenbar selbst mithelfen und plädiert für "Bürgerstreifen und ähnliche kriminalpräventive Zusammenschlüsse von couragierten Menschen".

Auf der Facebook-Seite tritt die deutschtümelnde Gruppe deutlich radikaler auf - und zeigt eine auffällige Deutsch-Schwäche. Als die Fußballnationalmannschaft am 27. Juni gegen Südkorea in der WM-Vorrunde ausschied, postete die selbsternannte "Bürgerbewegung" eine Fotomontage.

Darauf zu sehen sind beide Nationaltrainer, zwei Spieler beider Länder - und der Satz: "Multikulti ist gescheitert und Angela Merkel tritt noch zurück schöner kann der Sommer nicht werden!" Und im vergangenen Winter konnte, wer wollte, lesen: "Die Indianer konnten die EINWANDERUNG NICHT STOPPEN!!! HEUTE LEBEN SIE IN RESERVATEN!! mach dir Gedanken."

Anwalt von Reichsbürger

Wer diese Beiträge verfasst, ist unklar. Vermutlich nicht Kohlmann. Der ist seit 2007 als Szeneanwalt von Rechtsradikalen überregional bekannt geworden. Zuvor hatte er in Leipzig studiert und sein Referendariat zum Teil im russischen Krasnojarsk absolviert. Unter anderem verteidigt Kohlmann den Reichsbürger Adrian Ursache.

Adrian Ursache vor Gericht

Adrian Ursache vor Gericht

Foto: Hendrik Schmidt/ dpa

Das laufende Verfahren gegen den ehemaligen "Mister Germany", der beschuldigt wird, er habe im Sommer 2016 versucht, einen Polizisten mit einem gezielten Schuss auf den Kopf zu ermorden, bezeichnete Kohlmann als "politischen Prozess".

Für Empörung sorgte Kohlmann auch als Verteidiger im Terrorprozess gegen die "Gruppe Freital". In seinem Plädoyer drohte der Anwalt den Richtern indirekt. Er hoffe, dass sich seine Ausführungen nach einem Systemwechsel einmal strafverschärfend in einem Prozess gegen das Gericht wegen Freiheitsberaubung und Rechtsbeugung auswirkten, sagte Kohlmann.

Im Video: Ausschreitungen in Chemnitz

SPIEGEL ONLINE