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Bundestag gedenkt der Auschwitz-Befreiung Der Moment, als die AfD nicht mehr klatschte

Erstmals gedachte auch die AfD im Bundestag der Befreiung des KZ Auschwitz. Doch die Abgeordneten applaudierten nicht an allen Stellen der Reden mit.
Merkel und AfD-Fraktion während der Gedenkstunde im Bundestag

Merkel und AfD-Fraktion während der Gedenkstunde im Bundestag

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP

Es ist für manche im Rund des Bundestags ein Novum. Für viele Abgeordnete aus den Fraktionen, die neu ins Parlament gewählt wurden. Aber auch für Wolfgang Schäuble, der als Bundestagspräsident zum ersten Mal eine Rede zum Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz hält.

Die Augen richten sich an diesem trüben Januartag nicht nur auf den CDU-Politiker, sondern auch auf die AfD-Fraktion im Bundestag. Wie werden sich die Abgeordneten verhalten, die einer Partei angehören, in der etwa der baden-württembergische Landespolitiker Wolfgang Gedeon nach einem kürzlich ergangenen Urteil des Landgerichts Berlin als "Holocaustleugner" bezeichnet werden darf? Ein Mann, gegen den der AfD-Landesvorstand nach Antisemitismusvorwürfen ein Ausschlussverfahren anstrengte, das aber dann vom AfD-Landesschiedsgericht aus formalen Gründen abgelehnt wurde?

Das Plenum ist - bis auf wenige Plätze - besetzt. So wie immer, wenn in den vergangenen Jahren an den 27. Januar 1945 erinnert wird, dem Tag, an dem sowjetische Truppen das KZ Auschwitz befreiten. Diesmal hat der Bundestag das Gedenken verschoben, der 27. Januar fiel auf den vergangenen Samstag. Zum ersten Mal nimmt an einer solchen Veranstaltung im Bundestag auch die AfD teil, die im Herbst ins Parlament kam. Ihre Fraktion zählt 92 Abgeordnete, sie sind an diesem Tag vollständig erschienen.

Fast sieht es aus, als wollte sich die AfD besonders gesittet benehmen. Wie hatte es der neue Haushaltsausschussvorsitzende Peter Boehringer von der AfD kurz zuvor gesagt? "Unter Beobachtung zu stehen, das teilt jeder AfDler per definitionem." Er bezog das auf die drei umstrittenen AfD-Ausschussvorsitzenden, die an diesem Mittwoch - entgegen bisheriger parlamentarischer Sitte - in ihre Ämter gewählt werden mussten. Und doch gilt es auch für das Verhalten der Rechtspopulisten insgesamt, vor allem an diesem Gedenktag im Plenum.

Man muss genau hinschauen, oben von der Pressetribüne, um die Nuancen zu erkennen. Denn an manchen Stellen, als die beiden Redner - Schäuble und die Auschwitz-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch - beklatscht werden, rührt sich bei der AfD keine Hand.

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Gedenkstunde im Bundestag: "Antisemitismus ist ein 2000 Jahre alter Virus"

Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFP

Dabei geht es bei der AfD von Zustimmung zu stiller Ablehnung - und zwar in wenigen Minuten. Eine Passage aus der Rede Schäubles illustriert das besonders anschaulich. Zunächst spricht der CDU-Politiker davon, dass Hass und Gewalt in "unserer Gesellschaft keinen Raum haben, gegen wen sie sich auch richten, von wem auch immer sie verübt werden". Die AfD applaudiert mit, mancher in den eigenen Reihen mag das auf sich selbst beziehen, auch AfD-Politiker sind Opfer von Hassattacken und Angriffen geworden.

Doch kurz darauf sagt Schäuble einen Satz, der in das ideologische Mark der Rechtspopulisten zielt, deren Vertreter sich oft auf "das Volk" berufen oder gar von der "Umvolkung" Deutschlands durch die Flüchtlingspolitik warnen. Schäuble muss die AfD gar nicht erwähnen, seinen Satz versteht jeder im Plenum. "Wer vom Volk spricht, aber nur bestimmte Teile der Bevölkerung meint, legt Hand an unsere Ordnung", sagt der Bundestagspräsident.

An dieser Stelle gibt es einen lang anhaltenden Applaus, auch oben auf der Tribüne bei den Repräsentanten der jüdischen Gemeinde und Vertretern muslimischer Verbände. Nur bei der AfD, mit ihren Fraktionschefs Alice Weidel und Alexander Gauland: nichts.

Nach Schäuble spielt der Sohn der Auschwitz-Überlebenden Anita Lasker-Wallfisch, Professor Raphael Wallfisch, auf dem Violoncello, begleitet von dem Pianisten John York. Es ist ein besonderer Moment - denn seine Mutter war in der Lagerkapelle von Auschwitz und überlebte so. Ihre Schwester Renate und sie wurden am 19. April 1945 von britischen Truppen aus dem Lager Bergen-Belsen befreit, wohin sie nach der Räumung des KZ Auschwitz durch die Deutschen gebracht worden waren. Ihr Hass auf Deutschland und alles, was Deutsch war, sei damals "grenzenlos" gewesen, geschworen habe sie sich, nie wieder Deutschland zu betreten.

Sie selbst ging nach England, doch irgendwann besuchte sie auch wieder Deutschland. Lasker-Wallfisch spricht über sich selbst, aber es wirkt auch wie eine Mahnung an andere im Plenum. "Hass ist ein Gift. Und letztendlich vergiftet man sich selbst", sagt sie. Alle applaudieren, auch die Vertreter der AfD, in deren Reihen auch ein Mann wie der neue Ausschussvorsitzende Boehringer sitzt, der sich seit Tagen mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, die Kanzlerin in einer internen E-Mail als "Merkelnutte" bezeichnet zu haben.

"Generöse, mutige, menschliche Geste"

Es ist ein merkwürdiger Tag. Selbst als die 92-jährige Lasker-Wallfisch über den Antisemitismus spricht, klatschen die Abgeordneten der AfD mit, als gäbe es in ihren Reihen damit gar kein Problem. "Antisemitismus ist ein 2000 Jahre alter Virus, anscheinend unheilbar", heute richte sich "der Hass oft nicht mehr gegen die Juden, sondern gegen die Israelis", sagt sie.

Für einen Augenblick aber schafft es auch Lasker-Wallfisch, die AfD aus dem Zustimmungstakt zu bringen. Es ist der Moment, als sie über die heutigen Zeiten spricht, über eine "Welt voller Flüchtlinge", wie sie es nennt. Sie schlägt den Bogen von der Nazizeit in die deutsche Gegenwart und sagt: "Für uns haben sich die Grenzen damals hermetisch geschlossen und nicht wie hier geöffnet dank dieser unglaublich generösen, mutigen, menschlichen Geste, die hier gemacht wurde."

In diesem Moment legt Anita Lasker-Wallfisch ihr Manuskript aufs Pult, ihr Blick richtet sich auf eine Person in der ersten Reihe, sie applaudiert ihr zu. Dort sitzt unter den höchsten staatlichen Repräsentanten auch die Kanzlerin, die im Sommer 2015 die Flüchtlinge ins Land ließ. Angela Merkel applaudiert kurz mit, rückt sich dann auf ihrem Stuhl zurecht, als sei ihr so viel Aufmerksamkeit fast unangenehm. Aus den Reihen von CDU, CSU, SPD, Grüne, FDP und Linke wird geklatscht.

Nur die AfD-Abgeordneten, wenige Meter von Angela Merkel und Anita Lasker-Wallfisch entfernt, halten ihre Hände unten. Geschlossen.