Gescheiterte Sondierungen : Merkels Niederlage
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Angela Merkel verlässt das Schloss Bellevue. Bild: Matthias Lüdecke
Durch die gescheiterten Sondierungen hat die Kanzlerin mehr verloren als die FDP. Und vor allem: Die CDU hat noch mehr zu verlieren. Der Knackpunkt ist die Willkommenspolitik – von der sich Angela Merkel partout nicht distanzieren mag. Ein Kommentar.
Für Schwarz-Grün trägt allein die FDP die Schuld am Scheitern der „Jamaika-Verhandlungen“. Die Frage, wer durch Indiskretion und öffentliche Angriffe das Ringen um Kompromisse vor und hinter den Kameras torpedierte und Vertrauen zerstörte, stellt sich nicht mehr. Doch der größte Verlierer der fortgesetzten Hängepartie in Berlin ist nur auf den ersten Blick die FDP, über die nun das mediale Gewitter niedergeht.
In Wahrheit haben Grüne und CDU mehr verloren. Vor allem aber hat die Union noch mehr zu verlieren. Entgegen der allgemeinen Rhetorik und der veröffentlichten Meinung hatten die Grünen besonders erfolgreich verhandelt, zum einen, weil die Union unter der geschäftsführenden Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit geraumer Zeit eine grüne Position nach der anderen übernommen und schon vor der Wahl auf ein Bündnis mit den Grünen geschielt hatte. Zum anderen ist das Scheitern für Merkel eine persönliche Niederlage, denn für sie stellt sich nun die Machtfrage.
Eine instabile Regierung?
Kann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) seine Parteifreunde doch noch in die nächste – ungeliebte – schwarz-rote Koalition zwingen? Das dürfte schwierig werden. Die Führung der SPD zeigt bislang keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit, in der Opposition wieder als Volkspartei zu Kräften kommen zu wollen. Wer kann ihr das verdenken? Bei der Bundestagswahl erlebte nicht nur die SPD ein Debakel, sondern auch die CDU, besonders jedoch die CSU. Merkel kann immer noch aus Gründen des eigenen Machterhalts das schlechteste Wahlergebnis seit 1949 als Wählerauftrag zur Fortsetzung der großen Koalition deuten. Aber kann das auch die SPD? Wie würden ihre Wähler auf eine Kehrtwende reagieren, wie soll man den Genossen erklären, auf einmal doch wieder den Steigbügel für Merkels vierte Kanzlerschaft halten zu wollen?
Als zweiten Ausweg könnte Merkel eine Minderheitsregierung wagen. Doch ob sie sich auf ein instabiles Regieren mit wechselnden Mehrheiten einlässt? Für Deutschland wäre das ein Novum, in anderen Ländern Europas ist das erprobt. Sollte es etwa eine Minderheitsregierung mit den Grünen unter Merkels Führung geben, könnte die SPD bei konkreten Gesetzesvorhaben wohl in vielen Sachfragen zustimmen, etwa bei Europa, Klima oder Migration. Aber würde die SPD ausgerechnet Merkel auch zur Kanzlerin wählen?
Bleibt drittens die Neuwahl. Niemand weiß, wie die Wähler reagieren werden. Die Risiken sind allerdings ungleich verteilt. Die CDU müsste hoffen, dass die „Merkel-muss-weg-Stimmung“ nicht noch mehr Unionswähler erfasst. Die CSU könnte bloß beten, dass wegen ihrer Führungsquerelen in Bayern niemand fragt, worin ihre Ausnahmestellung eigentlich besteht. Die Grünen könnten darauf setzen, dass ihre Anhänger die „Jamaika-Standfestigkeit“ goutieren. Die FDP müsste hoffen, dass ihr 1,4 Million ehemalige CDU-Wähler die Treue halten. Die Linke wie die AfD dürften sich auf eine Neuwahl freuen.
Merkel ging nach dem Wahldebakel zur Tagesordnung über. Lehren aus der Abwendung vieler Unionswähler sollten nicht gezogen werden. Das müsste vor einer Neuwahl nachgeholt werden. Spricht die Union diejenigen Themen an, die für Wähler in ihrem alltäglichen Leben wirklich wichtig sind? Der Knackpunkt ist Merkels Willkommenspolitik, von der sie sich nicht distanzieren mag, obwohl sie zu einer Änderung ihrer Politik längst gezwungen wurde. Dieser Frage kann Merkel dann nicht länger ausweichen, auch nicht mit Verweis auf die schwierige Lage in der EU oder der Welt.